von Benedikt Bernhard Haubrich
Bruno Bregazzi hat ein Ziel vor Augen: das Meer. Vor langer Zeit ist er aufgebrochen, um dem Fluss zu folgen. Gemeinsam mit seinem treuen Begleiter und Freund Clos zieht er schlaflos stromabwärts von Stadt zu Stadt. Nachts verdient Bruno das Geld für ihre Reise mit illegalen Boxkämpfen in verlassenen Flugzeughangars, Kinderheimen, Schiffswerften, Fabrikhallen, Ruinen und in den Kellern von Cafés. Clos organisiert diese free fights. Mit traumwandlerischer Sicherheit gewinnt Bruno jeden seiner Kämpfe. Immer mehr Menschen wollen den Unbesiegbaren kämpfen sehen. Gleichzeitig plagen den Siegreichen entsetzliche Selbstzweifel und Ängste: Wofür diese Reise? Und was tun, wenn doch mal einer kommt, der ihn niederstreckt? Den Kampf, den er zu kämpfen hat, ist sein innerer Kampf ums Fortkommen, ums Erreichen des weiten Ziels. In seinem Innern tobt das viel gefährlichere, aufreibendere und brutalere Gefecht. Je näher er seinem Ziel kommt, desto größer wird die Ungewissheit und die Angst: Was werden sie am Delta finden? Was geschieht, wenn die Sehnsucht befriedigt ist? In dieser Schlacht treibt Clos ihn voran. Mit seiner stoischen, selbst- und siegessicheren Art wird Clos zum Antreiber und Anpeitscher des Kämpfers. Er hält schützend seine Hand über Bruno.
Als eines Nachts Brunos Schwester, Marlene, und seine tyrannische Mutter, Viktoria, die im Rollstuhl sitzt, in den Hallen der stillgelegten Schiffswerft erscheinen, beginnt ein Kampf um Verantwortung, Authentizität und Integrität. Es wird mit harten Bandagen gefochten, und Bruno ist gezwungen, seinen Lebensplan, seine Sehnsucht und seine Entscheidungen neu zu legitimieren – vor allem vor sich selbst. Er läuft Gefahr, sich selbst zu zersetzen. Sogar Clos, der Bruno in allen Situationen zu schützen wusste, ist dieser Übermacht an Argumenten und emotionalem Furor hilflos ausgeliefert. Es scheint, die Positionen sind unvereinbar.
Am Ende der Nacht sieht es so aus, als ob Bruno als Sieger dieser Auseinandersetzung das Feld verlässt. Und trotzdem ist Bruno Bregazzis Reise nun zu Ende. Er kommt weder vor noch zurück. Er ist verraten worden. Müde und kraftlos bleibt er, wo er ist. Allein?
STROMABWÄRTS ist eine Geschichte der Siege und Niederlagen, der sich auflösenden Gewissheiten. STROMABWÄRTS erzählt von der Gefahr, die Überzeugungen und Sehnsüchte in sich bergen. Und von der Notwendigkeit, ihnen zu folgen.
Benedikt Bernhard Haubrich, geboren 1979 in Mainz, studierte Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin und Schauspielregie am Max-Reinhardt-Seminar Wien. Inszenierungen: u.a. »Parasiten« (Marius von Mayenburg), »Clockwork Orange« (Anthony Burgess). Von 2005 bis 2008 Regieassistent an der Schaubühne am Lehniner Platz, u.a. von Benedict Andrews, Thomas Ostermeier, Luk Perceval und Falk Richter. 2006 Inszenierung von Mark Ravenhills »Shoppen & Ficken« am Theater Dortmund. An der Schaubühne realisierte er: »Write & Play – die Stückestaffel« (Projekt in der Reihe nachtcafé, 2006), »Speeddating« (Autorenprojekt, 2007), »Tommy« von Thor Bjørn Krebs (2007) und »Kein Abschied, niemals!« von Falk Richter. 2009 gründete er in Berlin „BRAND e.V. – Verein für theatrale Feldforschung“ und realisierte u.a. »KLAUT! KLAUS! NEUKÖLLN!« und »H!A!S!E! – eine partizipatorische Aktion«. Außerdem inszenierte er »Jackie. Ein Prinzessinnendrama« von Elfriede Jelinek am Thalia Theater Hamburg (2009). Haubrich lebt in Berlin und ist Dozent für Schauspiel und Regie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Sein erstes Stück KALTES LAND HEISSES LAND HEILIGES LAND wurde 2009 am Staatstheater Kassel uraufgeführt, 2010 das Kurzdrama GEGENÜBER am Schauspielhaus Bochum, STROMABWÄRTS 2011 in Luzern und DAS MASS DER VERLÄSSLICHKEIT 2011 als dessen Auftragsarbeit am Staatstheater Kassel.
Pressestimmen:
“Spielt sich das nun in seinem Kopf ab? War es des Protagonisten subjektive Wahrnehmung einer Ereigniskette? Oder war alles ganz anders? «Stromabwärts» des Mainzer Dramatikers Benedikt Bernhard Haubrich ist ein irrer Trip durch das
Unterbewusstsein eines von Schlaflosigkeit und Selbstzweifeln geplagten Mannes. Die Uraufführung im UG des Luzerner Theaters am Sonntagabend war – endlich mal wieder – ein verstörendes, beunruhigendes und darüber hinaus grossartiges Theatererlebnis.”
(Pablo Haller/kulturteil.ch)
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags JUSSENHOVEN & FISCHER, Theater & Medien.
Es lesen Meike Frevel, Roman Kanonik, Christiane Nothofer, Ismael Volk und Petra Wolf. Spielleitung: Thorsten Schlenger
Donnerstag, 30.1.14 um 19.30h